Hagen/Düsseldorf – Ihre Arbeit ist oft unsichtbar, ihre Leistung sollte es nicht sein. Nun rückt der Verein „Unsichtbar“, der sich seit sieben Jahren um Obdachlose und Bedürftige im Ennepe-Ruhr-Kreis, in Wuppertal, Hagen und Bochum kümmerte, ins Rampenlicht. In der Kategorie „Humanitäres“ erhält er den Ehrenamtspreis NRW des Düsseldorfer „Verbandes engagierte Zivilgesellschaft eV“.
40 Helfer haben die Engel der Straße inzwischen. Einer ist Ingo Isemann (46) aus Wetter an der Ruhr.
Tagsüber berät er wohlhabende Menschen in Immobilienfinanzierungsfragen, abends geht er zu den Armen: „In meinem Beruf geht es um große Geldsummen. Da verliert man schnell das Verhältnis zur Realität. Mir ist aber bewusst, dass das auch viel mit Glück zu tun hat.“
Regelmäßig fährt der Bankkaufmann und selbstständige Unternehmer (zehn Mitarbeiter) Streife im „Unsichtbar“-Transporter, versorgt Obdachlose mit Getränken, Suppen und Schlafsäcken. „Wir verteilen aber vor allem viel Herz. Offene, vertrauensvolle Gespräche sind meist wichtiger als jede Spende“, weiß Isemann. „Es sind überwältigende Erfahrungen, wenn die Menschen plötzlich von ihren schönen Zeiten, ihrer Kindheit sprechen. Sie wollen kein Mitleid. SIE WOLLEN ALS MENSCH ERHALTEN WERDEN. Es ist erstaunlich, wie selbstreflektiert die meisten Wohnungslosen sind, und beschämend, welche Ignoranz und welche Vorurteilen sie ausgesetzt sind.“
Isemann nutzt seine Kontakte in der Bankenwelt, um mehr Menschen, „denen es gut geht“, zum Engagement zu überreden. „Nach meiner ersten Schicht habe ich vor meinen Kindern hemmungslos geheult, weil mir klar wurde, wie schnell man unten ankommen kann.“
Erschüttert hat ihn auch die Lebensgeschichte von Kimberlay Süss (26) aus Hagen. Die transsexuelle Obdachlose sah vor zehn Jahren keine andere Möglichkeit, um ihre Geschlechtsumwandlung zu finanzieren, als auf den Strich zu gehen. „Da kam dann eins zum anderen: Mein Zuhälter gab mir Hormone, schlug mich und kassierte das Geld. Ich kam mit Schnaps, Kokain und Heroin in Kontakt, wurde abhängig und landete auf der Straße.“
Jetzt sitzt sie im Rollstuhl wegen eines offenen Beins durch die vielen Drogen, ist im Methadon-Programm, lebt von Hartz IV und Betteln und träumt von einem Leben als Friseurin oder Kosmetikerin. Ihr Reich ist die Platte vorm Hauptbahnhof Hagen.
Beinahe täglich erschnorrt sie ein Telefonat bei Passanten, um bei Unsichtbar anzurufen. „Unsichtbar ist großartig. Die intellektuelle mich, mein Leben in den Griff zu bekommen. Sie sind mein Rückgrat. Ich bin so dankbar.“ Holger Brandenburg (52), Gründer des Hilfsvereins, verspricht ihr: „Wenn sie es schafft, dass sie eine eigene Wohnung bekommt, kaufen wir ihr einen Schminktisch.“
Unsichtbar will auch hörbar werden, kooperiert mit Schulen, bringt Kinder und Obdachlose ins Gespräch, um Vorurteile abzubauen, organisiert Spenden- und Spielzeugverkaufsaktionen. Eine Kinderbuchautorin hat das Leben auf der Straße in kindgerechte Worte gepackt, herausgekommen ist das Buch „Halts Maul, Paul.“ Gemeinsam mit der Ruhr-Uni Bochum haben die Helfer eine Alarmanlage für Obdachlose entwickelt, die bei Diebstählen des seltenen Hab und Guts akustisch anschlägt .
Armen Familien schafft der Verein freudige Momente, in dem er Ausflüge in Zoos, Freizeitparks, Museen bezahlt. Brandenburg: „Davon zehren die Familien lange. Das motiviert viele, ihr Leben zu ändern, damit sie es sich selbst leisten können, um diese Glücksgefühle wieder zu erleben.“ Den Ehrenamtspreis bezeichnet Brandenburg als „unheimliche Ehre und Wertschätzung für das ganze Team“. Erkan Köktas (47), Projektleiter für den Preis beim VEZ: „Unsichtbar gibt Obdachlosen, die Menschlichkeit, die sie verdienen.“
196 Projekte haben sich für den 5. VEZ-Ehrenamtpreis NRW beworben. Eine Jury hat 21 Preisträger in sechs Kategorien ausgewählt. Am 20. Juni werden die Preise im Zuge einer Online-Gala verliehen.
Quelle: www.bild.de